Das Werner-Rennen (1988)
Vor dreieinhalb Jahrzehnten: Hasenmoor im Ausnahmezustand
Was den Wenigsten bekannt sein dürfte, ist, dass das berühmte "Werner-Rennen" Ende der Achtziger Jahre auf Hasenmoorer Gemeindegebiet ausgetragen wurde. Wird doch stets das benachbarte Hartenholm mit dem Festival in Verbindung gebracht (was durch den irreführenden Namen des Flugplatzes zu erklären ist, auf dem das Rennen seinerzeit stattfand). Ein Bericht über die Kehrseite dieses denkwürdigen "Spektakels":
"Das 'Werner Rennen' am 4. September 1988 ... war ein Überfall der Menschenmassen auf unser Dorf. Am stärksten betroffen waren [der Ortsteil] Fuhlenrüe und Teile des Nachbarortes Hartenholm. Die Felder in unmittelbarer Nähe des Flugplatzes und die umliegenden Wohn- und Hofgrundstücke waren von den aus Nah und Fern angereisten Werner-Fans und deren Fahrzeugen belegt worden. Die Einwohner versuchten ihre Häuser, Scheunen und Stallräume so gut es ging, zu verschließen und zu schützen. Schon Wochen vor Beginn der Veranstaltung war das Flugplatzgelände mit einem zwei Meter hohen Bauzaun eingezäunt worden. Die großen Bühnen und Zelte für das Rahmenprogramm wurden aufgebaut. 600 Toilettenhäuschen waren auf dem Flugplatz und in der näheren Umgebung verteilt aufgestellt worden. Sechs große Stromaggregate für die Stromversorgung der Veranstaltungsbauten und der zahlreichen Verkaufs- und Imbissbuden waren installiert. Und verkabelt. Tagelang wurden mit Lastwagen Getränke (Bölkstoff) und andere Versorgungsgüter zum Flugplatz transportiert. Mit Beginn der Anreise, der unübersehbaren Zahl der 'Gäste' entwickelte sich auf den Zufahrtsstraßen, A 7 und B 206 und den Wegen in der Umgebung, ein nicht lösbares Verkehrschaos. Die Polizei konnte auch mit Umleitungen der Anreisenden die Lage nicht mehr in den Griff bekommen. Die Bauern und Anwohner in der näheren Umgebung waren regelrecht blockiert und konnten mit Fahrzeugen ihr Anwesen nicht mehr verlassen. An den Einlasstoren zum Veranstaltungsgelände und an den Kassen, wo die Besucher nach Wurfgegenständen durchsucht wurden, stauten sich die Massen. Es gab Rangeleien und lautstarken Protest, bis sich die Veranstalter entschlossen, die Kontrollen aufzugeben und die Kassen zu schließen. Die umliegenden Felder hatten sich inzwischen in unübersehbare Zeltstädte verwandelt.
Zelte, Autos und Menschen … so weit das Auge reicht; an einem Wochenende im September 1988 stieg die Hasenmoorer "Bevölkerung" etwa um das Dreihundertachtzehnfache (Quelle: Gemeinde Hasenmoor)
Die Zahl der Besucher war nach Schätzungen auf über 200.000 angewachsen. An den Parkflächen gebaute Brunnen für die Versorgung mit Waschwasser und die Toilettenhäuschen reichten bei weitem nicht aus. Viele Menschen erledigten ihre Notdurft in Maisfeldern und Hausgärten. Für die Nahrungszubereitung und Erwärmung in den kühlen Nächten wurde alles Brennbare verheizt. Auch Garten- und Koppelzäune wurden abgebrochen und verbrannt.
Zwei Tage und Nächte lief ein Programm zur Unterhaltung der Besucher mit Auftritten der Rockgruppen BAP und Roger Chapman, einer Vorführung der Hell Driver-Show, Stunts mit einer Sattelzugmaschine, Motorradfahren auf dem Hochseil, Bullenreiten, Zirkus-Vorführungen und die Prämierung des schönsten Motorrades ohne gültigen TÜV-Stempel. Am Sonntag fand das eigentliche Rennen statt. Es war aber schon nach wenigen Sekunden vorüber und nur die Wenigsten konnten es bei dem großen Andrang verfolgen. Es ging über 600 Meter. Der Kieler Wirt Holger Henze, genannt Holgi, besiegte mit seinem alten Porsche 911 seinen Gegner, den Grafiker und Erfinder der 'Werner'-Comics, Rötger Feldmann, genannt ‚Brösel’, mit dem Horex-Eigenbau. Die ersten 50 Meter lag die Horex vorne. Sie war im Eigenbau mit 4 gekoppelten Motoren auf 150 PS gebracht worden. Angeblich hatte Feldmann sich verschaltet. Der Porsche 911 war zuerst am Ziel. Nach diesem ‚Höhepunkt’ der Veranstaltung verließen die Besucher allmählich das Gelände und begaben sich auf den Heimweg. Die auf dem Hof von Hans Wrage stationierte Reiterstaffel der Polizei, die kaum zum Einsatz gekommen war, zog ebenfalls wieder ab. Die übrigen Polizeibeamten regelten nur den Verkehr der abziehenden Besucher, bei hier und da angezeigten Untaten zurückgebliebener 'Wernerfans' wollten sie nicht eingreifen.
Im Zentrum des Geschehens: Die Rennpiste, 1988 (Quelle: ebd.)
Am Tage danach zeigte sich ein Bild der Verwüstung. Ausgebrannte Autos, die scheinbar nur zu diesem Zweck mitgebracht worden waren, sowie Schäden aller Art blieben zurück. Reinigungsfirmen und Müllwagen vom Wege-Zweckverband hatten 14 Tage mit der Aufräumung des Flugplatzes, der Parkfelder und der Abfuhr des Mülls zu tun. Berge von Plastikbechern und Verpackungen wurden zusammengeschoben und verladen. Insgesamt waren 500 Reinigungskräfte im Einsatz. 600 Kubikmeter Müll waren schon während der Veranstaltung beiseite geräumt, jetzt rechnete man mit derselben Menge noch einmal. Die Reinigung der Privatgrundstücke, eine ekelhafte Arbeit angesichts der Hinterlassenschaften, mussten die Einwohner selbst besorgen.
Brennende Strohballen und Autoreifen, 1988 (Quelle: ebd.)
Die Freiw. Feuerwehren hatten 84 Einsätze gefahren. Es brannten Strohballen, Büsche und Autos. 115 Sanitäter und 4 Notärzte hatten während der Veranstaltung ca. 1.500 Leichtverletzte versorgt. Allein fast 400 mussten nach Prügeleien und Unfällen versorgt und behandelt werden. 20 blieben stationär im Krankenhaus. Die entstandenen Schäden wurden zum großen Teil von einer Anwältin und einem Vertreter der Veranstalter finanziell geregelt. Die allgemeine Meinung war, nachdem auch die letzten Nachzügler den Ort wieder verlassen hatten: 'Nie wieder ein Werner-Rennen oder Ähnliches in unserer Gegend'." (Quelle: Gemeinde Hasenmoor / "Hasenmoor – Unser Dorf")
Abseits der hier geschilderten Erinnerungen – freilich aus Sicht der "betroffenen" Bevölkerung – handelte es sich bei diesem Festival ganz ohne jeden Zweifel um eine Veranstaltung der Superlative: 1.000.000 verzehrte Brat- und Brühwürstchen, 450.000 getrunkene (bisweilen sicher auch verschüttete ...) Liter Bier und eben die enorme Anzahl von über 200.000 Besuchern/innen geben das Ausmaß dieses Wochenendes im September 1988 ebenso anschaulich wie eindrucksvoll wieder. Beachtlich erscheint vor diesem Hintergrund, dass das Rennen selbst lediglich 20 Sekunden dauerte. Aber wie dem auch sei: Viele Hasenmoorer/innen, die damals als Jugendliche oder junge Erwachsene das bis heute größte Ereignis in der Geschichte des Dorfes natürlich auch besucht haben, schwärmen größtenteils noch immer davon …
Ergänzende Zahlen zum Festival (soweit nicht bereits im Text genannt)
- Brause: 300.000 l
- Pommes Frites: 20 t
- Mayonnaise: 2,5 t
- Fisch: 5.000 Kisten
- Obst: 38 t
- Brötchen: 250.000 (täglich)
- Festivalgelände: ca. 200 Hektar (= 2 km²)
- Trinkwasserbrunnen: 5
- Polizisten/innen: 300
- Fußgängerbrücke / B 206: 1 (4,70 m Durchfahrtshöhe, 6 m Breite und 20 m Länge)
- Zirkuszelte: 8 (Fassungsvermögen zwischen 1.000 und 6.000 Personen)
- Eintrittspreis: 50,- DM (für ein 3-Tage-Ticket, inkl. Park- und Campinggebühren)
(Quellen: Semmel-Verlach / "Werner – das Rennen" u.a.)
Nicht einmal das weltweit größte Heavy-Metal-Festival, das "Wacken Open Air" (das seit 1990 alljährlich – mit Ausnahme der Jahre 2020 und 2021 – und gerade einmal 41,7 km / Luftlinie von Hasenmoor entfernt ausgerichtet wird) hat bislang annähernd derartige Dimensionen erreicht. 2022 (das Jahr mit dem bisher höchsten Andrang) wurden 100.000 Teilnehmer/innen gezählt.
Weitere Informationen
Das 1988 im Semmel-Verlach Kiel erschienene Taschenbuch "Werner – Das Rennen" berichtet auf ca. 140 Seiten ausführlich über das Rennen und dessen Hintergründe. Es stellt damit gewissermaßen so etwas wie ein "Standardwerk" zum Thema dar. Eine spätere Neuauflage erschien ab etwa 1993 im Achterbahn Verlag. Der Titel ist vergriffen, über den Gebrauchtmarkt aber durchaus noch erhältlich.
Taschenbuch (Foto: Markus Einheuser)
Auch das "Kowalski Extrablatt" (Semmel-Zeitschriften-Verlags-GmbH, Kiel 1988) gibt ‘ne Menge an Informationen her (Klick!) – derweil uns der Humor jener Zeit und die Sprache dieses Magazins heute ein wenig seltsam vorkommen. Der 16 Seiten umfassende Sonderdruck wurde am Tag des Rennens kostenlos verteilt.
Extrablatt (Foto: ebd.)
Für das 64seitige "Programmheft" wurde hingegen eine "Schutzgebühr" von 2,- DM verlangt.
Programmheft (Foto: ebd.)
Video (YouTube): Klick!
Artikel (Der Spiegel): Klick!
Artikel (NDR): Klick!
Artikel (Wikipedia): Klick!
Fotos (Flensburg-Szene): Klick!
30 Jahre dauerte es, bis das eintreten sollte, was ein Festival-Besucher 1988 auf die Kofferraumklappe seines Mercedes schrieb (Foto: Norbert Rochna)
Ein "nächstes Mal" war lange Zeit undenkbar, erst im August / September 2018 war es dann soweit: Klick!